DM-Serie: Der erbitterte Kampf zwischen Hohenklingen und Brettorf 2001

15. Oktober 2020

"Man muss einmal in seinem Leben an einer Deutschen Meisterschaft in Brettorf teilgenommen haben". Dieser Satz, der schon einmal unter süddeutschen Faustballern gefallen ist, ist wohl das größte Kompliment, das ein Faustballverein als Organisator hören kann. Von 1982 bis 2017 war der TV Brettorf bisher sieben Mal Ausrichter einer Deutschen Meisterschaft. Jede DM war dabei auf ihre ganz eigene Art besonders - sei es für Spieler, Trainer, Offizielle oder Fans. Gemeinsam mit damaligen Protagonisten blickt der TVB auf die bisherigen DM-Austragungen zurück.

Es ist der Zweikampf über das gesamte Wochenende. Am 17. und 18. März 2001 kämpfen der TV Brettorf und der TV Hohenklingen im Rahmen der Deutschen Meisterschaft der C-Jugend in der Brettorfer Sporthalle um den Titel. Dreimal stehen sich die beiden Mannschaften während der Titelkämpfe gegenüber – auch im Endspiel. Marco Kühner, Zuspieler beim TV Hohenklingen, und Tim Lemke, Brettorfer Abwehrspieler, erinnern sich an ihre Faustballanfänge, ihre ersten DM-Teilnahmen und den Showdown 2001 in Brettorf.

Die faustballerischen Anfänge

Hohenklingen: Faustball – das gehört für Marco Kühner aus Knittlingen seit seiner Kindheit einfach dazu. Mit fünf Jahren beginnt er mit dem Faustballsport. „Jeder in meiner Familie – egal ob auf der Seite von meinem Vater oder Mutter – war irgendwie mit dem Sport verbunden“, erzählt Kühner. Während sein Vater vom TV Bretten kommt, ist seine Mutter in Hohenklingen, einem Stadtteil von Knittlingen, mit dem Faustball groß geworden. „Dort war alles sehr familiär, die Jungs mit denen ich beim Faustball angefangen habe, kannte ich schon vorher“, berichtet Kühner. Und die Truppe scheint talentiert. Kaum haben sie die ersten Trainingseinheiten absolviert, da feiern sie die ersten Erfolge. „Gleich an unserem ersten Spieltag, der Württembergischen Meisterschaft, in Oberhausen haben wir gewonnen“, erzählt Marco Kühner.

Brettorf: Tim Lemke und der Faustball: Das ist eine Liebe auf den zweiten Blick. „Bis ich zwölf Jahre alt war, habe ich mich geweigert nur Faustball zu spielen“, erzählt er. Beim TV Dötlingen ist er als Fußballer aktiv – doch in den Wintermonaten schaut er mit der Zeit immer häufiger beim Faustballtraining in der Brettorfer Sporthalle vorbei. „Irgendwann konnte ich unserem Trainer Pascal Osterheider dann nicht widerstehen“, lacht Lemke. Mit dem TVB qualifiziert er sich gleich auf Anhieb für die ersten Meisterschaften und Lemkes Entscheidung steht fest: Er tauscht den Fuß- gegen den Faustball ein.

Hohenklingen: In der Hallensaison 2000 qualifiziert sich der TSV zum ersten Mal für eine Deutsche Meisterschaft. In Gärtringen belegt die Mannschaft den fünften Platz und hofft, ein halbes Jahr später auf dem Feld vielleicht eine Medaille zu ergattern. Doch in Hammah reicht es für Marco Kühner und Co. nur zu Platz acht. „Wir hatten uns schon vorgenommen, vorne anzugreifen. Aber irgendwie lief es zu dieser Zeit nicht richtig rund im Team. Da mussten wir uns, auch gegen die starke Konkurrenz wie Hammah, Moslesfehn und Brettorf aus Niedersachsen, geschlagen geben“, erzählt der Defensivspieler.

TVB-Nachwuchs gewinnt Silber

Brettorf: Auch Tim Lemke nimmt bei diesen beiden Titelkämpfen zum ersten Mal an Deutschen Meisterschaften teil – und das erfolgreicher als Marco Kühner mit dem TVH. Sowohl in Gärtringen als auch in Hammah gewinnt Brettorf die Silbermedaille. „Schon die Norddeutsche Meisterschaft in Hundsmühlen war das erste Highlight“, meint Lemke. „Wir haben im Halbfinale Moslesfehn, die damals mit Manuel Bierfischer im Angriff gespielt haben, ausgeschaltet. Das war schon etwas Besonderes.“ Bei der DM geht es dann ähnlich erfolgreich weiter. Großen Anteil daran hat auch der neue Brettorfer Angreifer Aron Sommer, der gleich „eingeschlagen ist wie eine Bombe“ (Lemke). „Ich weiß noch, dass wir bei der Weihnachtsfeier in der Halle übernachtet haben und dann stand er plötzlich da“, erinnert sich Tim Lemke. „Wir hatten schon damals eine gute Abwehr. Nur im Angriff hat uns immer noch ein bisschen was gefehlt. Mit ihm waren wir schnell erfolgreich.“ Nur eine Mannschaft ist für den heutigen U18-Nationaltrainer und sein Team damals nicht zu bezwingen: der MTV Hammah. „Angreifer Jan Heitmann hat dort mit etwas älteren Abwehrspielern gespielt. Da haben wir fast immer den Kürzeren gezogen“, blickt Tim Lemke zurück.

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Hohenklingen: Nach den zwei DM-Teilnahmen, will sich der TVH auch in der Hallensaison 2001 für die nationalen Titelkämpfe qualifizieren. Bei der Süddeutschen Meisterschaft in Seebergen setzt sich die Mannschaft sowohl im Halbfinale (Röthenbach) als auch im Endspiel (Grafenau) deutlich gegen die Konkurrenz durch und hat damit das DM-Ticket sicher. „Der Zusammenhalt in unserem Team war immer super“, erzählt Marco Kühner. „Wir haben uns auch auf dem Bolzplatz getroffen, zusammen Fußball gespielt. Auch außerhalb des Feldes waren es echte Freundschaften.“ Besonders Kühner, Zuspieler im Faustballteam des TVH, und Angreifer Alexander Thau verstehen sich prächtig. „Alexander ist mein bester Kumpel. Er und ich waren schon immer auf der gleichen Wellenlänge unterwegs. Das hat top funktioniert und war mit Sicherheit nicht ganz unwichtig für das Zusammenspiel beim Faustball.“

Brettorf: Während sich Hohenklingen für die DM qualifizieren muss, haben die Brettorfer ihr Ticket als Gastgeber vorzeitig sicher. „Ich habe am Anfang der Hallensaison kapiert, dass wir jetzt eine Heim-DM haben“, erinnert sich Tim Lemke. „Leider durften wir nicht zur Norddeutschen antreten. Aber ich habe mich gefreut, dass wir noch mehr trainieren – das hat uns in dem Alter ja sowieso Spaß gemacht.“ Trotz der sicheren DM-Qualifikation ist die Zeit vor der Meisterschaft somit nicht weniger anstrengend. „Ich habe darauf hingefiebert, dass es endlich losgeht. Jeden Tag stand etwas in der Zeitung, Heino Kreye hat im Vorfeld ein Fotoshooting mit uns veranstaltet. Das war am Ende anstrengender als das Training danach“, schmunzelt Lemke.
Und für die DM gibt es noch einen weiteren „Hingucker“. „Ich weiß gar nicht mehr so genau wer die Idee hatte, aber wir haben uns für die DM alle die Haare Gold gefärbt, um einheitlich aufzutreten – sogar die Trainer“, erzählt er. Es scheint alles vorbereitet. Doch als der Abwehrspieler am Freitag vor der DM neugierig in der Halle vorbeischaut, traut er seinen Augen nicht: Der Hallenboden ist kurz vorher noch einmal versiegelt worden. „Der Boden war plötzlich unheimlich stumpf und man konnte nicht mehr durch die Halle rutschen. Der Heimvorteil war damit ein wenig verpufft“, meint Lemke: „Den Schuldigen würde ich gerne noch einmal zur Rede stellen.“

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Hohenklingen: Marco Kühner und sein Team bekommen davon nichts mit. Ihr Fokus liegt ganz allein auf den Vorrundenspielen. „Wir haben immer davon gesprochen, die Endrunde am Sonntag zu erreichen. Aber wenn ich noch heute mit meinen Freunden darüber spreche, war uns schon klar, dass wir Platz eins angreifen wollten.“ Nach einem 26:15-Auftaktsieg gegen den TV Waibstadt kommt es in der zweiten Partei bereits zum Duell mit dem TV Brettorf. Die Begegnung endet 17:17. Dazu feiert der TVH Erfolge gegen den VfK Berlin und Westfalia Hamm. Beeindruckt sind die Spieler dabei von der Kulisse in der Brettorfer Sporthalle. „Was dort für eine C-Jugendmeisterschaft auf die Beine gestellt wurde, war großartig. Die Atmosphäre war grandios.“

TVH und TVB marschieren ins Endspiel

Brettorf: Die meisten der Zuschauer drücken dem Brettorfer Team die Daumen. „Familienmitglieder, Freunde und Mitschüler waren da. Das war schon eine ganze Menge an Leuten“, berichtet Tim Lemke. „Es war schon ein komisches Gefühl als man realisiert hat ,Oh – die sind ja jetzt alle wegen uns da‘.“ Neben dem Unentschieden gegen Hohenklingen feiert der TVB auch Erfolge gegen Berlin, Hamm und Waibstadt. Somit muss am Ende des Samstags ein weiteres Duell zwischen den beiden Teams die Entscheidung um den Gruppensieg bringen. In einem engen Match hat am Ende Hohenklingen die Nase vorne (12:9). „Ich weiß noch, als Marco einen kurz gespielten Ball von Aron geholt und mir direkt hinten eingeschenkt hat“, erinnert sich Tim Lemke nur ungern an das zweite Duell bei dieser DM.

Hohenklingen: „Wir wussten um die Stärke von Aron Sommer und haben ihn deshalb so gut es ging aus dem Spiel genommen“, verrät Marco Kühner den damaligen Matchplan. Mit Jens von Seggern haben die Brettorfer zwar noch einen zweiten Angreifer in ihren Reihen – „er hat damals aber noch einen recht großen Fehleranteil gehabt“, so Kühner. Der Plan geht auf – Hohenklingen sichert sich den direkten Halbfinaleinzug. Und auch am Sonntag ist der TVH nicht zu schlagen. Im Kampf um das Endspiel setzt sich Hohenklingen gegen den TV Öschelbronn durch. „Alexander Thau hatte einen unfassbar großen Anteil daran“, meint Marco Kühner. „Was er damals für sein Alter gespielt hat, war wirklich gigantisch. Er hat alles auseinandergenommen. Nur mit so einem Schlagmann kann man so ein Turnier für sich entscheiden.“

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Brettorf: Der TVB nimmt den Umweg über die Qualifikation (Grafenau) und hat es im Halbfinale mit Angstgegner Hammah zu tun. Doch Jan Heitmann ist – mit verjüngter Abwehr – größtenteils auf sich allein gestellt. „Wir hatten schon oft einen auf die Mütze bekommen. Dort waren wir deshalb richtig heiß, zu gewinnen.“ Brettorf feiert einen ungefährdeten 30:19-Erfolg – und steht im Endspiel. „Wir hatten im Vorfeld schon ein wenig mit dem Titel geliebäugelt“, meint Tim Lemke. In der Halle waren wir tendenziell etwas stärker. Und dann zu Hause – da rechnet man sich schon etwas aus.“

Drittes Duell im Finale

Hohenklingen: Finale: Die Brettorfer Sporthalle ist abgedunkelt, die Spieler werden – angeleuchtet von einem Lichtspot – auf das Spielfeld geholt. „Es war unser erstes richtiges Finale. Für mich als junger Spieler war das das Highlight schlechthin. Das zu erleben war einmalig“, sagt Marco Kühner. Der Zuspieler lenkt die Geschicke des Teams – und der TVH erarbeitet sich schon früh in der Begegnung einen Vorsprung. Und den geben sie bis zum Schlusspfiff nicht mehr ab. „Als Dorfverein den Titel zu gewinnen, war schon ein großartiges Gefühl“, ist Marco Kühner noch heute stolz auf den Titelgewinn.

Brettorf: „Der Mix aus der vollen Halle und der Erwartungshaltung, dass du Deutscher Meister werden sollst mit dem schnellen Rückstand, hatte sicherlich Anteil an der Niederlage“, meint Tim Lemke. „Der Spieler vorne rechts hat wirklich alles angenommen, was auf ihn gekommen ist und Marco Kühner und Alexander Thau haben dann den Rest erledigt.“ Während der TVH nach dem Schlusspfiff jubelnd im Spielerkreis stehen, liegen die Brettorfer Spieler niedergeschlagen am Boden. Bei der Siegerehrung erhalten Aron Sommer (Angriff) und Tim Lemke (Abwehr), gemeinsam mit Marco Kühner (Zuspiel), noch eine persönliche Ehrung: Sie werden zu den besten Spielern der DM geehrt. „Ich hätte den Pokal gerne gegen den DM-Titel eingetauscht“, sagt Lemke.

Revanche bei der U16-DM

Es soll nicht die letzte Begegnung der beiden Mannschaften gewesen sein!

Brettorf: Genau zwei Jahre später stehen sich die beiden Teams bei der U16-DM in Kirchen erneut im Finale gegenüber – nun aber mit dem besseren Ende für die Brettorfer: Tim Lemke und sein Team feiern den ersten Deutschen Meistertitel. „Wir haben in den zwei Jahren alle einen riesigen Sprung gemacht“, sagt Tim Lemke. Der Brettorfer Nachwuchs trainiert bereits mit der Bundesligamannschaft, Lemke selbst hat sein erstes Bundesligaspiel bestritten. „Davon haben wir alle profitiert.“ Auch in den folgenden Jahren wird er mit seinem Team um die DM-Titel mitmischen.

Hohenklingen: Anders sieht es beim TV Hohenklingen aus: Nach dem Finale in Kirchen wird es für den TVH immer schwieriger, das Team für die Meisterschaften zusammenzubekommen. „Es hat sich eingependelt, aber wir mussten immer wieder ersatzgeschwächt antreten“, sagt Marco Kühner. Er selbst wechselt später den Verein, absolviert – auch mit kurzer Faustballunterbrechung – einige Jahre in der Faustball-Bundesliga. Nach der Hallensaison 2019/20 hängt er seine Schuhe an den berühmten Nagel.

Brettorf: Auch Tim Lemke wird mit der Zeit Stammspieler in der Bundesliga – und gewinnt mit dem TV Brettorf einige DM-Medaillen. Dazu wird er U18-Weltmeister, holt mit den Junioren Europameistertitel und absolviert ein A-Länderspiel. Einzig der DM-Titelgewinn im Seniorenbereich ist ihm nicht vergönnt. Aktuell ist er nun als U18-Nationaltrainer an der Seitenlinie aktiv.

Statistiken

Männliche U14

Kader TV Brettorf:
Jonas Carius, Jens von Seggern, Julian von Seggern, Aron Sommer, Christian Abel, Stefan Nordbrock, Tim Lemke, Chris Jung; Trainer: André Poguntke, Pascal Osterheider und Dirk Meiners

Vorrunde:
TVB - TV Hohenklingen 17:17
TVB - TV Westfalia Hamm 25:18
TVB - TV Waibstadt 25:18
TVB - VfK Berlin 29:13
TVB - TV Hohenklingen 9:12 (Entscheidungsspiel)

Qualifikation:
TVB - TSV Grafenau 26:17
Halbfinale:
TVB - MTV Hammah 30:17
Finale:
TVB - TV Hohenklingen 17:19 (6:13)

Endstand:
1. TV Hohenklingen (Schwaben), 2. TV Brettorf (Niedersachsen), 3. MTV Hammah (Niedersachsen); 4. TV Öschelbronn (Baden), 5. VfK Berlin (Berlin), 6. TSV Grafenau (Schwaben), 7. TV Waibstadt (Baden), 8. TV Westfalia Hamm (Westfalen), 9. SG Bademeusel (Brandenburg), 10. MTV Wangersen (Niedersachsen)

Text: Sönke Spille
Interviewpartner: Marco Kühner & Tim Lemke
Informationen & Fotos: Faustball-Information, Chronik TV Brettorf

Weitere Folgen der DM-Serie:
1990: Ausgerechnet im Endspiel reißt die Brettorfer Siegesserie
1982: Bei der Premiere fehlt nur die Medaille

 

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